Immersive Reality verfeinert die Produkttestung
Neue isi-Publikation im Fachmagazin Food Quality and Preference
Zu süß, zu pappig, gerade richtig? Haferdrinks werden immer beliebter. Welcher Drink das Rennen um die Gunst der Kunden macht, ist jedoch noch offen. In einem isi-internen Test nahmen die isi-Sensorikerinnen Cordula Lampe und Ruth Schädlich den Haferdrinkmarkt geschmacklich unter die Lupe. Ihre Erkenntnis: Hersteller, die ihre Marktchancen ausbauen wollen, sollten wissen, mit welchen Attributen ihr Drink auf dem umkämpften Markt punkten kann.
Wenn Cordula Lampe, Senior Sensory Manager bei isi, mit ihrer Familie am Frühstückstisch sitzt, schaut sie auf einen reich gedeckten Tisch und zwei Packungen mit Milch. Auf ihrem Tisch stehen Kuh- und Hafermilch zur Auswahl. „Ich bevorzuge Hafermilch“, erklärt die Sensorikerin, „mein Mann Kuhmilch und meine Kinder probieren beides.“
Nichts verdeutlicht den aktuellen Trend hin zum Haferdrink (so die laut Lebensmittelrecht offizielle Bezeichnung für „Hafermilch“) besser als dieser Blick auf den Frühstückstisch. Haferdrinks sind dabei, sich als Alternative zur Kuhmilch zu etablieren. Noch können sich manche nicht vorstellen von Kuh- auf Hafermilch zu wechseln, doch die nächste Generation wächst mit dieser Alternative auf und ein Teil dürfte sich dauerhaft für den pflanzlichen Drink entscheiden. Viele unserer Vorlieben sind angelernt, auch die für Milch. Unser Wunsch nach einer schmackhaften Mischung aus Fett, Süße, Cremigkeit und Nahrhaftigkeit ist uns jedoch in die Wiege gelegt.
Milchalternative noch besser am Markt positionieren
Während der Verbrauch von Kuhmilch sinkt, wächst der Markt für Milchersatzprodukte. Laut einer Analyse von Report & Data beträgt die jährliche Wachstumsrate von Hafermilch rund sieben Prozent. Hunderte von Haferdrinks haben den Markt quasi überschwemmt und die Verbraucherinnen und Verbraucher stehen nicht selten ratlos vor dem Regal mit Haferdrinks. Auch die Hersteller entwickeln mitunter im Blindflug neue Haferdrinks.
„Sinnvoller wäre es für die Unternehmen, vorab zu erkennen, welches Geschmackserlebnis die anvisierten Kundinnen und Kunden bevorzugen und sich dann gezielt am Markt zu positionieren“, berichtet Ruth Schädlich, Sensory Project Manager bei isi. Voraussetzung dafür ist es, den Markt der Haferdrinks zu kennen.
Aus diesem Grund beschlossen Cordula Lampe und Ruth Schädlich eine isi-interne Studie durchzuführen. „Wir wollten wissen, wie sich das sensorische Profil der Haferdrinks unterscheidet“, erklärt Ruth Schädlich.
Wachsendes Angebot – Hunderte von Haferdrinks kämpfen um die Gunst der Kunden.
Welcher Haferdrink sticht heraus?
Für den Test wählten sie 69 Haferdrinks von 24 Herstellern aus. Darunter Marken wie Oatly, Berief, Natumi und Kölln. Ziel war es, eine Art Landkarte aufzuspannen, die zeigt, wie sich welcher Drink in der Gruppe der Haferdrinks sensorisch einordnen lässt. Ist er eher dünnflüssig oder cremig? Neutral oder süß? Sticht der Hafer heraus oder andere Aromen?
Neun Studien-Teilnehmende testeten die Produkte im isi-Labor in Göttingen. Dazu nippten sie an allen Drinks und bewerteten beispielsweise die Süße auf einer Skala von 1 bis 5. Anschließend tauschten sich die Teilnehmenden aus und entschieden per Konsens, welche Eigenschaften einen Drink auszeichnen und wie er sich im Vergleich zu anderen positionieren lässt. Schmeckt Drink A stärker nach Hafer als Drink B, aber weniger als Drink C?
So spannten die Testenden mit der Zeit einen zweidimensionalen Raum auf, in dem jede Probe ihren Platz findet. Der Vorteil dieser Methode, die in der Sensorikforschung „Napping“ genannt wird: Sie ist hoch-effizient, da sie in kürzester Zeit aussagekräftige Ergebnisse liefert und es erlaubt, viele Produkte gleichzeitig zu testen. Auf der so entstandenen Karte lassen sich Produktgruppen und Trends aufdecken.
Von dünnflüssig bis cremig, von Hafer-bis Kokosgeschmack – die Haferdrinks in Deutschland spannen einen weiten sensorischen Raum auf.
Interessiert an der Position einzelner Unternehmen? Hier gibt es die komplette Karte inklsuive Namen als Download.
Wegweiser im Geschmacksdschungel
Produkte, die auf der x-Achse weiter rechts liegen, zeichnen sich durch einen deutlicheren Hafergeschmack aus. Produkte, die auf der y-Achse weiter oben liegen, werden vergleichsweise cremiger wahrgenommen.
Heißt das, die Produkte im rechten oberen Quadranten schmecken besonders gut? „Nein. Das müssten wir mit weitergehenden Tests erst noch untersuchen“, erläutert Ruth Schädlich. Allerdings wäre ein Test mit allen 69 Produkten zeitaufwändig und teuer, da quasi jedes Produkt mit jedem anderen verglichen werden müsste.
Für Hersteller, die etwa einen neuen Haferdrink auf den Markt bringen wollen oder ihre eigene Position auf dem Markt untersuchen wollen, würde es aber bereits ausreichen, sich aus der Geschmackslandkarte fünf Vergleichsprodukte auszusuchen. Sie könnten Bereiche abdecken wie deutlicher Hafergeschmack, cremig und süß. So erkennt das Produktentwicklungsteam, wie sich das neue Produkt auf der Landkarte positioniert und die Präferenzen der Konsumierenden können vollständig erfasst werden.
Analyse deckt Eigenheiten auf
„Die Karte soll einen Blindflug bei der Produktentwicklung verhindern“, betont Cordula Lampe. Mithilfe von weiteren gezielten Tests lassen sich dann die gewünschten Koordinaten noch besser ansteuern. Dann spielen beispielsweise Fragen nach dem Aussehen des Drinks oder nach seiner Verwendung – Kaffee oder Müsli – eine Rolle. Natürlich kann man sich als Hersteller auch bewusst in bestimmte Bereiche bewegen, die abseits der Masse stehen; zum Beispiel mit fermentierten, Vanille- oder Karamell-Noten.
Mithilfe der durch die Studie gewonnenen Daten entdeckte das isi-Team weitere Zusammenhänge und Eigenheiten. So zeigt die Analyse etwa, dass der Zuckergehalt den Hafergeschmack verstärkt. Kamen jedoch Geschmacksnoten wie Vanille oder Schoko hinzu, dann wurden diese durch den Zucker verstärkt. Der Zuckergehalt erhöhte auch die Cremigkeit, allerdings nur, wenn der Hafergehalt im Drink gering war. Salz konnte die Süße im Drink teilweise maskieren.
Süße Drinks dominieren
Ein Analyseergebnis überraschte Ruth Schädlich. Nicht nur die Haferdrinks mit Schoko- und Vanillegeschmack wurden als deutlich süß eingestuft, sondern auch manche klassische und sogar einige ungesüßte Drinks. Außerdem schnitten manche Drinks, die speziell für den Kaffee gedacht sind (Barista-Produkte) als wenig süß ab. Generell wurde die Mehrzahl der getesteten Produkte jedoch als eher süß eingestuft. „Es wäre interessant zu sehen, ob es für Drinks ohne Süße einen Markt gibt“, erklärt Ruth Schädlich.
Manche Drinks hinterließen bei den Testenden auch unangenehme Sinneseindrücke. Pappig, ranzig, bitter, chemisch, sauer – lauteten etwa einige der Beschreibungen. Mit einer gezielten Rezepturänderung könnten Hersteller solchen unerwünschten Aromen entgegenwirken. Wobei zu berücksichtigen ist, ob diese Nebengeschmäcker in Verwendung beispielsweise in Kaffee nicht auch einen positiven Effekt auf das Geschmackserlebnis haben könnten.
Hafermilch im Kaffee muss nicht immer süß sein.
Neue Märkte erobern
In Deutschland verdreifachte sich der Verkauf von Haferdrinks zwischen 2018 und 2020, berichtet das von der EU geförderte Projekt smart protein. Laut Toni Petersson, Konzernchef der schwedischen Oatly Group wuchs der Umsatz mit Oatly Haferdrinks 2021 um rund 50 Prozent. Weltweit sind noch viele Märkte unerschlossen. In Deutschland setzt sich die Milchalternative – von Mensa bis Bordbistro – in immer mehr Bereichen durch. So bietet seit diesem Jahr auch die Deutsche Bahn Haferdrinks an.
Wer jetzt auf den richtigen Zug aufspringt, kann neue Märkte erobern. Das gilt nicht nur für Haferdrinks, sondern auch für weitere Milchalternativen. So entwickelt etwa das Start-up Remilk aus Tel Aviv eine „Kuhmilch“ auf Basis mikrobieller Fermentation.
Wer auf dem Markt der Haferdrinks das Rennen macht, ist offen. Laut isi-Landkarte könnten es vor allem die Drinks sein, die leicht nordöstlich auf der Karte um die Gunst der Kundinnen und Kunden ringen und die richtige Balance von Hafer, Süße und Cremigkeit treffen. Doch auch an der Peripherie könnten sich mit gezielten Rezepturen spezielle Kundensegmente erfolgreich ansprechen lassen. Ausschließlich auf das Bauchgefühl sollten sich Hersteller dabei jedoch nicht verlassen. Wissenschaftlich basierte sensorische Konsumentenforschung liefert das Fundament, um Produktentwicklungen erfolgreich zu steuern.
Kontakt
Ruth Schädlich
& Cordula Lampe
isi GmbH
Ascherberg 2
37124 Rosdorf / Göttingen
ruth-katrin.schaedlich@isi-insights.com
Fotos: Portrait/Robert Ortmann; Haferdrinks/isi Archiv; Tasse/Alberto Bogo, unsplash.com
Dr. Fabienne Hübener ist freie Wissenschaftsjournalistin und hat sich auf die Sinne und die sensorische Forschung spezialisiert. Sie schreibt seit 2017 für uns auf unserem Blog.
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