Wie Unternehmen den Nutri-Score für sich nutzen können

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Fabienne Hübener

Der Nutri-Score ist gleichzeitig Herausforderung und Chance für die Hersteller. Wer sich darauf einlässt, gewinnt in der Kundengunst. Sensorik-Experte und isi Managing Director Robert Möslein erklärt im Interview, mit welchen Methoden eine Reformulierung für einen günstigeren Nutri-Score gelingt.

Zusammenfassung

  • Hersteller können seit 2020 mit dem Nutri-Score die Nährwerteigenschaften von Lebensmitteln auf der Vorderseite der Verpackung abbilden.
  • Die ersten Hersteller und Lebensmittelketten nutzen den Nutri-Score bereits. Studien zeigen, dass er das Kaufverhalten beeinflusst.
  • Produkte ohne Nutri-Score könnten in der Verbrauchergunst sinken.
  • Auf den Nutri-Score ausgerichtete sensorische Tests unterstützen Hersteller bei der Reformulierung von Produkten. So erzielen Lebensmittel einen besseren Wert auf der Skala, ohne dass der Geschmack leidet.

Was ist der Nutri Score?

Das fünf-farbige Nutri-Score-Kennzeichen auf der Vorderseite der Verpackung (Front-of-Pack, FOP) gibt Verbrauchern Auskunft über den ernährungsphysiologischen Wert eines Lebensmittels. Er wird auf Basis von verschiedenen Nähr- und Inhaltsstoffen ermittelt.
Dabei werden wünschenswerte und weniger wünschenswerte Nährwertelemente miteinander verrechnet. Eine Skala von A bis E zeigt die Nährwertqualität eines Produkts. Ein grünes A ist bei vergleichbaren Produkten ernährungsphysiologisch eine bessere Wahl als ein rotes E.

Studien belegen, dass der Nutri-Score funktioniert. Käufer verstehen ihn auf Anhieb und ändern ihr Kaufverhalten entsprechend. Der Nährwert der eingekauften Lebensmittel stieg in einer Studie um 9% (Julia 2017). Damit schlägt der Nutri-Score andere untersuchte FOP-Kennzeichnungen deutlich. Laut einer Modellrechnung könnte der Nutri-Score 3,4% der Todesfälle verhindern, die mit ungesunder Ernährung in Zusammenhang stehen (Egnell, 2019).

Bislang ist unklar, ob der Nutri-Score dazu führt, dass Käufer mehr Geld für ihren Einkauf ausgeben. Manche Studien sehen diesen Trend, andere nicht (Crosetto 2019, Mora-García 2019).

 

Julia Klöckner präsentiert den Nutri ScoreJulia Klöckner, ehemalige Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft
kündigt im September 2019 die Einführung des Nutri-Score in Deutschland an.

 

Berechnung des Nutri-Scores

„Ungünstige Inhaltsstoffe“ wie Zucker, Salz, gesättigte Fettsäuren sowie ein hoher Energiegehalt erhöhen den Nutri-Score, „günstige Bestandteile“ wie Proteine, Ballaststoffe, Obst, Gemüse und Nüsse senken ihn. Je weniger Punkte ein Produkt bekommt, desto besser ist sein Nutri-Score. Die Punktwerte reichen von -15 (A, dunkelgrün, gesündere Wahl) bis über 19 (E, rot, weniger gesunde Wahl). Zwei Beispiele: Das Iglo Schlemmerfilet mit Karotten erhält den Nutri-Score A (grün), der Iglo Ofen-Backfisch ein C (gelb).

Damit manche Bestandteile wie etwa Nüsse und Gemüse als positive Inhaltsstoffe in die Berechnung eingehen, müssen sie einen Anteil von über 40% ausmachen. Daher ändert beispielsweise die Zugabe von einigen Walnüssen zu einem Schokomüsli den Nutri-Score nicht.

"Ein fehlender Score kann sich schlechter auswirken als ein ungünstiger Nutri-Score."

Die neue Kennzeichnung ist freiwillig, doch die Bereitschaft der Hersteller, sie zu nutzen ist groß: Danone, Bonduelle, Iglo, Agrarfrost sind einige der Hersteller, die den Nutri-Score einführen wollen. Auch Aldi, Lidl, Rewe und Kaufland kündigten an, ihre Eigenprodukte teilweise mit dem Score zu versehen. Nestlé plant ebenfalls die zügige Umsetzung in Deutschland.

Möglicherweise werden die Kunden mittelfristig erwarten, den Score auf den Produkten zu finden, erklärte Alexander Holst, Experte der Beratungsfirma Accenture, der Lebensmittelzeitung im Januar 2020. Ein fehlender Score kann sich dann sogar schlechter auswirken als ein ungünstiger Nutri-Score.

 

Erfahren Sie mehr über die Eigenschaften von anspruchvollen Konsumenten.

 

Den Nutri-Score verbessern

Der Wunsch des Gesetzgebers, eine Reformulierung mancher Produkte, klingt einfach. In der Praxis stellt er die Unternehmen vor eine Herausforderung. Mitunter können schon kleinste Variationen des Produkts den Verbraucher vom Kauf abhalten. Dieser Gefahr steht eine große Chance gegenüber. Ein günstiger Nutri-Score wird für den Verbraucher eine wichtige Hilfe sein, wenn es gilt, sich zwischen zwei Produkten zu entscheiden.

Für ein grünes A auf der Verpackung mag der Kunde möglicherweise Änderungen im Geschmack – etwa weniger Süße oder eine dickflüssigere Konsistenz durch mehr Ballaststoffe – gerne in Kauf nehmen. Herstellern gibt der Nutri-Score also auch ein neues Instrument an die Hand, um die Kaufentscheidung der Verbraucher zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

Für Hersteller stellt sich damit die Frage: Wie kann ich mein Produkt so reformulieren, dass es auf dem Nutri-Score besser abschneidet, den Verbrauchern jedoch immer noch gut oder womöglich sogar besser gefällt als das bisherige Produkt?
Eine Antwort für eine erfolgreiche Nutri-Score Optimierung liefert die Sensorikforschung. Mit effizienten Sensoriktests und speziell auf den Nutri-Score angepassten Untersuchungsmethoden können sie die optimale Produktvariation herausfiltern.

Das Institut für Sensorikforschung und Innovation isi in Göttingen hat sich auf die neue Herausforderung Nutri-Score vorbereitet und nutzt seine langjährige Erfahrung, um Kunden bei der Reformulierung zu unterstützen. Welche Hürden dabei überwunden werden müssen und welche modernen Tests dafür zum Einsatz kommen, erklärt isi Managing Director Robert Möslein im Interview.

Interview mit Sensorikexperte Robert Möslein

Robert Möslein sieht den Nutri-Score als eine Chance für Unternehmen, um Produkte noch besser an Verbraucherwünsche anzupassen.

Sensroikexperte Robert Möslein zum Nutri-Score

Können Sie sich erinnern, in letzter Zeit einen Nutri-Score auf einem Produkt in Deutschland gesehen zu haben?

Ja, das hellgrüne B auf den FruchtZwergen beim Einkauf im Supermarkt. Manche Unternehmen sind bereits vorgeprescht und nutzen den Nutri-Score. Andere werden nun nachziehen.

Ist es überhaupt möglich, jedes Produkt so zu verändern, dass es sich auf dem NutriScore verbessert?

Bei manchen Produkten, etwa Süßigkeiten, wird das vielleicht keinen Sinn machen, aber eine große Zahl von Produkten – von Säften bis Fertigprodukten – kann durch gezielte Änderungen in der Rezeptur Sprünge auf dem Nutri-Score machen. Viele Unternehmen reduzieren bereits den Zuckergehalt in ihren Produkten.

Wie wird etwa ein Fruchtsaft gesünder?

Bei Getränken gelten noch strengere Regeln als bei anderen Lebensmitteln. Nur Wasser bekommt ein grünes A. Die meisten Säfte liegen jedoch aufgrund des oft von Natur aus hohen Zuckergehalts eher im orangen oder roten Bereich von D oder E. Der Saft kann zum Beispiel im Nutri-Score aufsteigen, wenn er faserhaltiger, fruchtreicher, proteinreicher und zuckerärmer wird.

Wie finden Sie heraus, ob das der Verbraucher akzeptiert?

Wir besprechen mit dem Hersteller, welche Varianten infrage kommen und erstellen zunächst eine intelligente Auswahl an potenziellen Prototypen, die allesamt einen günstigeren Nutri-Score haben. Mit einer von uns entwickelten „Toolbox“, die speziell auf die Fragestellungen rund um den Nutri-Score abgestimmt ist, geben wir diese ausgewählten Prototypen sowohl unseren Geschmacksexperten als auch naiven Konsumenten zur Verkostung. Die Ergebnisse ermöglichen es uns, schnell herauszufinden, welche Variante beim Verbraucher gut ankommt.

 

Kleine Variation, große Wirkung für den Nutri-Score
Kleine Variation, große Wirkung. Sensorische Test zeigen, was den Konsumenten wirklich schmeckt.

 

Können Sie mir ein konkretes Beispiel nennen?

Ein Hersteller möchte den Nutri-Score seiner Pizza verbessern. Das ist beispielsweise möglich, indem er weniger Salz im Teig oder Belag verwendet, Mozzarella und Milchpulver mit weniger Fettgehalt nutzt, Zucker reduziert und Margarine durch Olivenöl ersetzt. Nimmt man die Original-Pizza mit hinzu würde dieses Beispiel zu 4 x 3 x 3 x 3 = 48 Pizzavarianten führen.

Das sind natürlich zu viele, um sie alle gegeneinander zu testen. Mithilfe des Design of Experiment-Ansatzes können wir diese Zahl jedoch auf ein Minimum reduzieren und dank eines intelligenten Algorithmus trotzdem später mit den Ergebnissen der sensorischen Tests Rückschlüsse auf alle 48 Kombinationen ziehen. Schließlich schicken wir 12 Pizzavarianten ins Rennen.

Die Datenanalyse zeigt uns, welche Veränderungen das sensorische Profil der Pizza auf welche Art beeinflussen. Inhaltsstoffe, die das sensorische Profil kaum oder gar nicht beeinflussen sind gute Kandidaten, um den Nutri-Score zu verbessern, ohne den Geschmack zu beeinträchtigen. Die Pizzen mit der vielversprechendsten neuen Rezeptur lassen wir dann in einer Blindverkostung testen.

Welche Rolle spielt das Nutri-Score-Label bei Ihren Tests?

Das Label beeinflusst das Gefallen des Produkts. Unter Umständen ist der Kunde mit Blick auf einen besseren Nutri-Score bereit, Änderungen im Geschmack zu akzeptieren. Schneidet keine der neuen Variationen ähnlich gut ab wie das Original, untersuchen wir in einem nächsten Schritt, welchen Einfluss das Nutri-Score-Label auf die Verkostung hat. Gefällt den Testern die neue Pizzavariante mit einem günstigen Nutri-Score-Label nicht schlechter als die Originalpizza ohne Label oder mit dem bisherigen ungünstigen Nutri-Score, dann haben wir die optimale Pizza-Version gefunden. Das ist kein ganz neues Produkt, sondern nur ein leicht abgewandeltes, das der Verbraucher nach wie vor dem Original zuordnet.

Warum ist es schwieriger, den Nutri-Score bei Säften zu verbessern?

Erstmal gibt es in der Regel nicht so viele Inhaltsstoffe, die variiert werden könnten, dann sind Säfte stark zuckerhaltig und der beste Nutri-Score-Wert ist nur dem Wasser vorbehalten. Trotzdem funktioniert das eben beschriebene Prinzip auch bei Säften.

Wir führen gerade eine Untersuchung mit zehn verschiedenen Säften durch. Wir wollen herausfinden, welche Veränderungen – etwa durch weniger Zucker, mehr Ballaststoffe und mehr Fasern – einen Saft besser auf dem Nutri-Score abschneiden lassen und inwieweit der bessere Score die Akzeptanz dieser Veränderung kompensiert.

Der Vorteil des Scores ist ja, dass er nicht den Verzicht betont wie etwa die Aufschrift „weniger Zucker“, sondern einen Zugewinn an Gesundheit symbolisiert. Zudem ist der Nutri-Score multidimensional und der Hersteller kann daher an vielen Stellschrauben drehen, damit sein Produkt einen besseren Nutri-Score erzielt.

 

Weniger Zucker verbessert den Nutri-Score von Säften
Mehr Fasern, weniger Zucker? isi besitzt eine besondere Expertise bei der Reformulation von Säften.

 

Was ist Ihr Eindruck: Welche Fragen treiben die Hersteller jetzt um?

Viele Hersteller sehen die Einführung des Nutri-Scores als Chance und haben sich bereits auf Veränderungen vorbereitet. Trotzdem besteht noch Informationsbedarf. Wie weit darf ich eine Rezeptur verändern, sodass der Verbraucher sie trotz verbessertem Nutri-Score noch akzeptiert? Muss ich ein neues Produkt kreieren, das ich neben mein bestehendes setze? Welchen Sprung muss ich auf dem Nutri-Score machen, um mich von Mitbewerbern abzuheben? Ist kein Label besser als ein schlechter Nutri-Score? In der Beratung gehen wir genau auf diese und weitere Fragen ein. Unsere Erfahrung beim Thema Branded Testing hilft uns bei der Antwort.

Ich gehe davon aus, dass sich in Zukunft kein Hersteller dem Sog des Nutri-Scores entziehen kann. Je früher sich ein Hersteller mit dem neuen Label auseinandersetzt, desto größer ist seine Chance vom Nutri-Score zu profitieren.

 

Möchten Sie mehr über sensorische Tests bezüglich des Nuti-Scores erfahren? Kontaktieren Sie gerne Robert Möslein.

 

 

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Quellen - Studien

Egnell, M., Crosetto, P, d’Almeida, T et al. Modelling the impact of different front-of-package nutrition labels on mortality from non-communicable chronic disease. Int J Behav Nutr Phys Act 16, 56 (2019).

Julia C, Péneau S, Buscail C, et al. Perception of different formats of front-of-pack nutrition labels according to sociodemographic, lifestyle and dietary factors in a French population: cross-sectional study among the NutriNet-Santé cohort participants. BMJ Open 2017;7:e016108.

Crosetto P, Anne Lacroix A, et al. Nutritional and economic impact of five alternative front-of-pack nutritional labels: experimental evidence, European Review of Agricultural Economics, 2019; jbz037, 1–34.

Mora-García CA, Tobar LF, Young JC. The Effect of Randomly Providing Nutri-Score Information on Actual Purchases in Colombia. Nutrients. 2019;11(3):491.

 

Quellen - Fotos

Titelbild: Canva + A. Zurwellen

Ministerin Julia Klöckner: BMEL, Janine Schmitz / photothek.net

Eierspeise: the creative exchange / Unsplash

Saft: eugenivy reserv / Unsplash

 

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