Wie man nachhaltige Produkte entwickelt
Wie bringt man ungewöhnliche und nachhaltige Algenprodukte an den Mann und an die Frau? Das Team...
Konsumentenforscher holen per Immersive Technology das echte Leben ins Labor und sprechen so die psychologischen Motive der Konsumenten noch gezielter an. Das erhöht die Aussagekraft von Produkttests und erlaubt es Herstellern, ihre Produkte noch besser an die Verbraucher anzupassen.
Eine Testmethode, die vor einigen Jahren noch als Vision galt, hat Einzug in den Alltag der Sensorik- und Konsumentenforschung gefunden: Das Testen mit Immersive Technology. Das bedeutet, dass Probanden während des Testens mithilfe von Bildern, Videos, Raumprojektionen oder per VR-Brille in Situationen versetzt werden, die zu dem Testprodukt passen. Ziel ist es, den Kontext stärker in die Testsituation einzubeziehen. Dadurch lassen sich die unterschiedlichen psychologischen Motive der Konsumenten besser ansprechen.
isi arbeitet mit diesen Methoden bereits seit 2016, hat über das Thema geforscht und die Ergebnisse auf Konferenzen vorgestellt und in Fachmagazinen publiziert. In diesem Blogbeitrag haben wir die Methode und ihre Anwendungsmöglichkeiten schon einmal vorgestellt. Hier möchten wir nun neue Entwicklungen zusammenfassen und aufzeigen, für welche Produkte und Fragestellungen sich Immersive Technology lohnt.
Sie interessieren sich für Immersive Technology? Wir beantworten gerne Ihre Fragen. Kontaktieren Sie uns gerne über unser Kontaktformular oder wenden Sie sich direkt an isi-Experte Joachim Haag (+49 551 49974 220, joachim.haag@isi-goettingen.de).
Es ist sieben Uhr morgens, die Zeit drängt und mit den Gedanken ist man schon im Büro. Jetzt schnell noch einen Vitaminstoß, um sich für den Start in die Arbeit zu rüsten. Im Kühlschrank stehen zwei Flaschen mit Orangensaft. Der eine Saft ist dünnflüssig und ohne Fruchtfleisch, der andere dickflüssig mit viel Fruchtfleisch. Welche Variante wird man bevorzugen? Vermutlich die dünnflüssigere. Denn der Saft mit Fruchtfleisch befriedigt eher den Wunsch nach ausgiebigem Genuss, also das Indulgence-Motiv. Den Genießersaft schenkt man sich zu einem späten Sonntagsfrühstück mit Familie oder Freunden ein. Der dünnflüssige Saft hingegen wirkt wie ein schneller Energy-Shot – genau das Richtige für das Leistungs-Motiv am Morgen.
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass der Kontext das Gefallen beeinflusst. In einem optimalen sensorischen Produkttest sollte also der Kontext mitberücksichtigt werden.
Diese Einsicht ist nicht neu, stellt jedoch die Sensorikforschung und die Hersteller von Produkten vor ein Dilemma. Auf der einen Seite sollen die Produkttests so standardisiert wie möglich sein, also am besten im Labor stattfinden. Auf der anderen Seite sollte der Kontext berücksichtigt werden; ein Bier-Test zum Beispiel in einer Bar stattfinden, ein Shampoo-Test unter der Dusche. Beide Varianten haben ihre Anhänger.
Mitarbeiter aus den Abteilungen für Forschung und Entwicklung setzen vor allem auf standardisierte Labor-Tests. Schließlich sollen alle vom Konsumenten entdeckten Produktunterschiede ausschließlich auf das Produkt zurückzuführen sein. Im Labor lassen sich Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Helligkeit und Lautpegel kontrollieren. Schmeckt den Konsumenten etwa Orangensaft A mit wenig Fruchtfleisch deutlich besser als Orangensaft B mit viel Fruchtfleisch, so weiß der Hersteller, wie er sein Produkt auszurichten hat.
Mitarbeiter aus dem Marketing sind dagegen traditionell Verfechter realistischerer Situationen. Statt den Ergebnissen aus dem Labor vertrauen sie eher Studien, die zuhause bei den Probanden stattfinden, (z.B. Home Use Test) oder an anderen Orten, an denen das Produkt normalerweise genutzt wird.
Bislang standen sich die beiden Positionen relativ unversöhnlich gegenüber. Doch mithilfe von Immersive Technology lassen sich nun beide Ansätze vereinen und die Wünsche der Marketers und der Produktentwickler in Einklang bringen.
Eine immersive Situation versetzt einen Probanden im Labor in einen anderen Kontext. Wie tief die Immersion geht, hängt von der gewählten Methode ab. Schon eine Raumdekoration kann den Kontext verändern, etwa eine Tischdecke, eine Vase, leise Musik. Häufig nutzen Sensorikforschende Videos, die auf einer raumgreifenden Leinwand ein bestimmtes Ambiente projizieren, etwa eine Bar. Aber auch Augmented und Virtual Reality, die über eine spezielle Brille den Betrachter in eine andere Welt eintauchen lassen, kommen zum Einsatz.
Doch lohnt sich der Aufwand? Kann die Immersion die Entscheidung des Konsumenten in einer realen Situation im Labor nachahmen? Tatsächlich, das zeigen Studien, erfüllen Immersive Technologies diesen Anspruch.
isi hat gemeinsam mit Forschenden des European Sensory Network untersucht, wie Bierproben in einer Bar, im Labor und im Labor mit Immersive Technology abschneiden. Die Studie belegt, dass die Situation in der Bar und Immersive Technology im Labor vergleichbare Ergebnisse liefern. Dabei schnitt die Darstellung auf einer Leinwand sogar ebenso gut ab wie die aufwändigere Variante mit Virtual Reality und 3D-Brillen. In diesem Video zeigen wir Original-Aufnahmen aus dem Experiment, das unter anderem in Rom in einem Pub stattfand.
Heißt das jetzt, dass alle Sensorik- und Konsumententests unter immersiven Bedingungen stattfinden sollten? Nein. Wie gut Immersive Technology funktioniert, hängt von der Fragestellung, dem Produkt und noch weiteren Faktoren ab. Immersion ist unter anderem dann sinnvoll, wenn es sich um ein Kontext-sensitives Produkt handelt.
Auch muss der simulierte Kontext nah an die Originalsituation heranreichen. Die Sensorikforschenden waren mitunter überrascht, wie wenig Simulation notwendig ist, um den Kontext heraufzubeschwören. Die Fantasie der Probanden ergänzt die fehlenden Details. Allerdings müssen die Assoziationen durch die passenden Komponenten geweckt werden. Was macht aus einem Tisch einen Frühstückstisch? Was ist das Entscheidende an einer Bar-Atmosphäre? Ist es das Gemurmel der Besucher, der dunkle Raum, die Barmusik, der Duft? Diese Fragen müssen vorab zuverlässig beantwortet sein, um die passende Immersion zu entwickeln. isi blickt dabei auf eine umfassende Erfahrung zurück und hat ein Auge dafür entwickelt, welcher sensorischer Eindruck die Stimmung am stärksten beeinflusst.
So untersuchte isi gemeinsam mit der Universität Kopenhagen, inwieweit allein schon das Bild eines Strandes und das Sitzen in einem Liegestuhl Probanden in Urlaubsstimmung versetzt und ihre Lust auf Bier verändert. In diesem Video fasst isi-Mitarbeiterin Alexandra Kraus die Ergebnisse zusammen.
Manche Produkte eigenen sich nur eingeschränkt für immersives Testen. So erschwert beispielsweise eine VR-Brille das Verkosten eines Fertiggerichts. Zwar kann auch ein realer Teller in die Virtual Reality integriert werden, doch erhöht sich dadurch der Aufwand und die Immersion wird geringer. Übrigens können auch Fragebögen in die VR-Situation integriert werden. Die Probanden müssen zum Beantworten der Fragen die Brille nicht absetzen, sondern kreuzen den virtuellen Fragebogen per Handcontroller an. Gelenkt wird dieser über die Blickrichtung.
Wer Probanden in einem immersiven Test, etwa mit einer VR-Brille, beobachtet, sieht schnell einen weiteren Vorteil von Immersive Technology. Probanden sind ganz und gar bei der Sache. Während in klassischen Labortests die Lust am Mitmachen nach der x-ten Probe mitunter schwindet, fühlen sich Konsumenten in immersiven Test deutlich involvierter. isi-Untersuchungen belegen, dass die Motivation der Probanden durch Immersive Technology steigt. Das hilft dabei, das Engagement der Konsumenten langfristig hochzuhalten sowie neue Probanden zu gewinnen.
Die Vorteile von Immersive Testing lassen sich so zusammenfassen:
In den kommenden Jahren werden die Immersiven Technologien in der Sensorik- und Konsumentenforschung vermutlich an Bedeutung gewinnen. Zudem wachsen ihre Möglichkeiten mit jeder technischen Neuerung. Ob berührungssensitive VR-Anzüge, Aktivierung von Geschmacksreizen per Remote-Steuerung oder VR-fähige Kontaktlinsen, isi behält die Entwicklungen im Blick und schafft mit wissenschaftlichen Studien die Voraussetzung, um neue Methoden in der Konsumentenforschung auf den Weg zu bringen.
Das geschieht unter anderem im Rahmen des SensoryXR-Forschungsnetzwerks, einer Kooperation von isi, der Hochschule Nordhausen (University of Applied Sciences) und der Firma Computerwerk. Trotz der langen Erfahrung mit Immersive und Virtual Reality löst der Blick in die VR-Brille nach wie vor einen Wow-Effekt bei den isi-Mitarbeitern aus. Um sich einen Eindruck von der Methode zu verschaffen, solle jeder selbst einmal eine VR-Brille überstreifen und sich in eine andere Welt versetzen lassen. Das ist noch nicht das Holodeck, das uns die Science-Fiction Filme versprochen haben, aber auch daran arbeiten die Forscher schon.
Sie interessieren sich für Immersive Technology? Wir beantworten gerne Ihre Fragen. Kontaktieren Sie uns gerne über unser Kontaktformular oder wenden Sie sich direkt an isi-Experte Joachim Haag (+49 551 49974 220, joachim.haag@isi-goettingen.de).
Fotos: isi/Archiv
Dr. Fabienne Hübener ist freie Wissenschaftsjournalistin und hat sich auf die Sinne und die sensorische Forschung spezialisiert. Sie schreibt seit 2017 für uns auf unserem Blog.
Okt 9, 2020
Wie bringt man ungewöhnliche und nachhaltige Algenprodukte an den Mann und an die Frau? Das Team...
Okt 9, 2020
isi, das Institut für Sensorikforschung und Innovationsberatung testet für die...