Im Überblick: Sensory Profiling & Corona
Wie es isi gelang, Sensoriktests während der Corona-Krise nahezu nahtlos vom Labor in das Zuhause...
In unseren Supermärkten vollzieht sich eine stille Revolution. In immer mehr Produkten sinkt der Zuckergehalt. Die Kunden merken davon kaum etwas, denn der Geschmack stimmt (meist) nach wie vor. Dass der Verbraucher bei der gesunden Trendwende nicht aussteigt, daran ist auch ein Unternehmenszweig beteiligt, der normalerweise im Hintergrund bleibt: die sensorische Forschung.
Wenn Robert Möslein im Supermarkt vor dem Regal mit den Joghurt-Produkten steht, achtet er auf das Kleingedruckte. Für seinen sechsjährigen Sohn wählt er die Variante mit weniger Zucker. „Lange Zeit wurden viele Lebensmittel, wie etwa Müsli und Joghurt, immer süßer. Seit einigen Jahren dreht sich der Trend um. Damit reagieren die Hersteller auf die Wünsche der Verbraucher und die Erkenntnisse der Gesundheitsforscher“, erklärt Möslein von isi (Institut für Sensorikforschung und Innovationsberatung) in Göttingen. Die Zuckerreduktion wirkt sich zudem positiv auf den Nutri-Score der Lebensmittelprodukte aus.
So fordert etwa die britische Behörde für öffentliche Gesundheit, Public Health England, von Herstellern, Händlern und Restaurants eine freiwillige Zuckerreduktion um 20 Prozent in verarbeiteten Produkten bis zum Jahr 2020 (Gibson 2017). Das entspräche 200.000 Tonnen Zucker pro Jahr. Von Singapur bis Spanien, ähnliche Initiativen starteten auch in anderen Ländern. Führende Hersteller trifft die Forderung nicht unvorbereitet. Die meisten besitzen bereits eine Strategie zu schrittweisen Zuckerreduktion. Laut einer Studie von Consumer Goods Forum haben 2016 über 100 Unternehmen 180.000 Produkte verändert, um sie gesünder zu machen. In den nächsten Jahren wollen große Unternehmen – darunter Rewe, Lidl, Edeka und Aldi – den Zuckergehalt ihrer Produkte weiter reduzieren.
„Süße raus, wo es möglich ist!“, bewirbt beispielsweise Rewe offensiv seine zuckerreduzierten Eigenmarken-Produkte, darunter Schoko-Eis, Sahnekefir und Choco Chips. Mit einer Marketing-Idee stimmte Rewe seine Kunden Anfang 2018 auf die Änderungen ein. Die Kunden konnten sich zwischen vier Schokopudding-Varianten entscheiden. Die Mehrzahl wählte den im Vergleich zum Original um 30 Prozent zuckerreduzierten Pudding. Ab Mai 2018 kommt das neue Produkt in die Regale. „Die Kunden abstimmen zu lassen, ist eine gute Idee, um das Interesse für zuckerreduzierte Produkte zu wecken. Für einen aussagekräftigen Test sind jedoch wissenschaftlich fundierte Methoden nötig“, betont Robert Möslein.
Bereits ein Fünftausendstel Teelöffel Zucker, aufgelöst in einem Glas Wasser, können manche Menschen als süß wahrnehmen. Merkt der Verbraucher, dass ein Produkt an Süße verloren hat, reagiert er nicht nur mit Schulterzucken. Menschen empfinden einen Verlust schmerzlicher als einen in der Größenordnung ähnlichen Gewinn (Tversky 1981). Eine Zuckerreduktion in einem bekannten Produkt sollte daher behutsam erfolgen.
Unsere Lust auf Süßes ist uns angeboren (Forestell 2015). Der Mensch wie auch andere Primaten lieben Zucker, denn er ist ein Indikator für Nahrhaftes wie zum Beispiel reife Früchte. In den heutigen Zeiten eines durchgängigen Nahrungsangebots freut sich das Belohnungszentrum unseres Gehirns auch weiterhin über Süßes, doch unsere Gesundheit leidet. Die Folgen des zu hohen Zuckerkonsums sind Übergewicht, Typ 2-Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und Karies. So erhöhen etwa zwei Gläser Softdrinks mehr pro Tag das Risiko für Typ 2-Diabetes um das 11-Fache (Bray 2014). Daher versuchen immer mehr Menschen mit weniger Zucker auszukommen.
Ein großer Teil des Extra-Zuckers, den wir täglich zu uns nehmen, steckt in verarbeiteten Lebensmitteln wie zum Beispiel Joghurt, Ketchup, Brot, Wurst, Kuchen, Eis, Fruchtnektar, Limonade, Fertigpizza, Salatsauce, Müsli, Schokoladenriegel. Rund drei Viertel aller Lebensmittelprodukte sind mit Extra-Zucker versetzt (Popkin 2016). Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO und der US-Amerikanischen Herzgesellschaft sollte freier Zucker im besten Falle nicht mehr als fünf Prozent der täglich aufgenommenen Energie ausmachen. Das entspricht circa 25 Gramm, beziehungsweise sechs Teelöffeln Zucker. So viel ist bereits in einem großen Fruchtjoghurt enthalten.
Erfahrungsberichte in Zeitschriften und Blogs berichten, wie schwer es Menschen fällt, für einige Zeit den Zuckerkonsum herunterfahren. „Zwischendurch hätte ich gerne alles hingeschmissen“, schreibt eine Focus-Redakteurin über ihrem Selbstversuch „40 Tage ohne Zucker“. Zuckerreduzierte Produkte könnten Verbrauchern auf dem Weg zu einem geringeren Zuckerkonsum helfen. Studien zeigen, dass, je nach untersuchtem Produkt, bis zu 50 Prozent Extra-Zucker eingespart werden könnten, ohne dass der Verbraucher den Geschmack verliert (Cicek 2017). Laut einer aktuellen Schätzung könnten in Großbritannien in den nächsten zwei Jahrzehnten bis zu 300.000 Menschen vor einem Typ 2-Diabetes und eine Million Menschen vor schwerem Übergewicht bewahrt werden, wenn der Zuckergehalt gesüßter Getränke binnen fünf Jahren um 40 Prozent sinken würde (Ma 2016).
„Wir haben den Zuckergehalt in unserem Essen lange nicht hinterfragt. Holte meine Großmutter früher Erdbeeren aus dem Garten, kamen sie nur stark gezuckert auf den Tisch. Das wäre mir heute zu süß, und auch meinen Kindern schmecken sie ohne oder mit nur wenig Zucker gut“, berichtet Robert Möslein. „In den letzten Jahrzehnten kannte die Zuckerspirale immer nur den Weg nach oben, jetzt dreht sich der Trend um.“
Wie finden nun Sensorikunternehmen heraus, ob ein zuckerreduziertes Produkt immer noch den Konsumentengeschmack trifft? „Wir setzen auf ein mehrstufiges Prüfschema“, erklärt Robert Möslein. Im ersten Schritt wird untersucht, ob der Konsument eine zuckerreduzierte Produktvariante überhaupt vom Original unterscheiden kann (Mörlein 2017). Sensorikforscher nennen diese Methode Ähnlichkeitstest (in der Fachsprache Similarity-Test). Ist das nicht der Fall, kann der Hersteller die weniger süße Variante sofort auf den Markt bringen. Möglicherweise ist der Zuckergehalt in Ihrem Lieblingsjoghurt in den letzten Jahren bereits gesunken, ohne dass es aufgefallen ist.
Nimmt der Konsument jedoch einen deutlichen Unterschied wahr, folgt der zweite Prüfschritt. Nun untersuchen die Sensorikforscher, ob die zuckerreduzierte Variante dem Kunden vielleicht ebenso gut oder möglicherweise sogar besser gefällt als das Standardprodukt. „Auch das kommt vor, dass die geringere Süße auffällt, das Produkt auch anders schmeckt, aber dass es dem Konsumenten sogar besser gefällt“, betont Möslein. Dieser Test wird Ebenbürtigkeitstest (in der Fachsprache Non-Inferiority Test) genannt. Fällt das Urteil positiv aus, kann der Hersteller sein Produkt ebenfalls relativ beruhigt auf den Markt bringen.
„Fällt das zuckerreduzierte Produkt jedoch auch in diesem Test durch, starten wir die dritte Prüfstufe“, berichtet Möslein. Anstelle einer Blindverkostung erhalten nun die Produkttester Informationen zu dem Produkt. Dann steht zum Beispiel auf einem Informationsblatt oder auf der Verpackung, dass die Rezeptur des Produkts so verändert wurde, dass es weniger süß, aber gesünder und runder im Geschmack ist. Möglicherweise akzeptiert der Kunde dann den Geschmacksunterschied. Findet das Produkt auch in diesem so genannten Markentest (in der Fachsprache Branded Test) keine Gnade bei den Konsumenten, ist das Ende der Prüftreppe erreicht. „Dann setzen wir uns mit dem Hersteller zusammen und überlegen eine neue Strategie. Das kann zum Beispiel die Empfehlung für eine Rezepturänderung sein.“ sagt Robert Möslein.
Den Herstellern steht eine ganze Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, damit ein zuckerreduziertes Produkt besser beim Kunden ankommt. Durch Düfte, Texturen, Gewürze – etwa Vanille – kann der Süßeindruck einer Speise verstärkt werden. In einer kürzlich erschienenen Studie der Universität Uruguay akzeptierten die Versuchsteilnehmer eine um 40 Prozent zuckerreduzierten Pudding, wenn ihm etwas Vanille und Stärke beigemischt wurde (Alcaire 2018). Warum die Hersteller nicht einfach die fehlende Süße durch Süßstoffe ersetzen? „Süßstoffe erhöhen möglicherweise die anschließende Kalorienaufnahme. Daher setzen die Hersteller nun verstärkt auf andere Strategien“, erklärt Robert Möslein. Studien weisen darauf hin, dass Süße, die von ihrer kalorienhaltigen Substanz entkoppelt ist, die Nahrung-Belohnungskette des Stoffwechsels unvollständig aktiviert und so den Hunger anheizt. Süßstoffe könnten zudem das Darm-Mikrobiom und die Darm-Hirn-Achse negativ beeinflussen (Mooradian 2017). Alles Gründe, um auf Alternativen zu setzen.
Das sind zum Beispiel Strategien, in denen Eindrücke aus mehreren Sinneskanälen zusammenwirken. So scheint eine gewölbte Form, eine rote Farbe, ein hoher Ton, ein fruchtiger Duft, eine cremige Textur, eine glatte und weiche Oberfläche das Süßempfinden zu verstärken (Spence, 2017). Crossmodal nennen Forscher diese gegenseitige Beeinflussung der Sinne, die sich inzwischen zu einem eigenen Forschungszweig entwickelt hat. Vor allem Aromen, die den Verbraucher an Süßes erinnern, etwa der Duft von Karamell, Vanille und Erdbeere, können helfen, den Zuckergehalt eines Produktes unauffällig herunterzufahren. Allerdings warnen Experten davor, die crossmodalen Effekte unüberlegt in der Produktveränderung einzusetzen. Vermutlich beruhen zumindest einige der Effekte auf erlernten Assoziationen und sind daher erfahrungsabhängig (Hamilton-Fletcher 2018). So mag eine blaue Farbe des Joghurts bei einem europäischen Konsumenten den Geschmack von süßen Blaubeere verstärken, bei einem vietnamesischen Konsumenten jedoch den Geschmack von Mundspülung hervorrufen (Dürrschmid, 2018).
Die Deutsche Lebensmittelgesellschaft DLG widmete Ende 2017 den Reduktionsstrategien einen eigenen Band. Gerade der crossmodale Ansatz, so die Autoren des Bandes, biete eine viel versprechende Möglichkeit, um mit natürlichen Zutaten eine Zuckerreduktion möglich zu machen. Laut einer DLG-Befragung von 247 Lebensmittelexperten im Jahr 2017 waren jedoch nur 17 Prozent der Befragten mit der Methode und ihrer Anwendung vertraut (Cicek 2017).
Auch raffinierte Technik kann die Zuckerreduktion erleichtern. So entwickelte Nestlé ein hohles Zuckerkristall, das weniger Zucker enthält, aber als ebenso süß wahrgenommen wird wie ein herkömmliches Zuckerkristall. Bereits dieses Jahr sollen damit gesüßte Produkte auf den Markt kommen. Das israelische Startup DouxMatok wirbt ebenfalls mit einem Designer-Zuckermolekül, das den Süßeindruck verstärkt. Bis zu 40 Prozent Zucker sollen die neuen Zucker einsparen können.
Ein Fehlgriff bei der Rezeptur kann Hersteller viel Geld kosten. So brach der Verkauf von Cadbury Schoko-Eiern nach einer Rezepturveränderung um fast sieben Millionen Euro ein. Als Coca-Cola US in seinem Vitaminwasser Zucker durch Stevia ersetzte, beschwerten sich die Konsumenten per Facebook, Twitter und Co so lauthals, dass das Unternehmen nach wenigen Monaten die Änderung wieder rückgängig machte. Im Februar 2018 halbierte das Unternehmen LRS den Zuckergehalt im Süßgetränk Ribena und fügte stattdessen Süß- und Füllstoffe hinzu. Viele Fans des gezuckerten Safts der schwarzen Johannisbeere reagierten prompt und schwörten öffentlich ihrem Lieblingsgetränk ab.
Oft raten Sensoriker ab, auf der Verpackung eines bereits eingeführten Produktes die Zuckerreduktion anzukündigen (Spence 2017). Wird der Verbraucher auf eine Änderung hingewiesen, spürt er besonders aufmerksam jeder Geschmacksveränderung nach. Unser Aromagedächtnis ist genau darauf ausgerichtet: Veränderungen zu entdecken. Das fällt uns deutlich leichter als etwa einen Geschmack zu benennen oder zu erinnern (Mojet 2016).
Ist aufgrund des schlechten Abschneidens eines Produktes in den oben genannten Testserien eine Rezepturänderung notwendig, wenden sich Hersteller an ihre Rezeptentwickler und dann erneut an die Sensorikforscher. Die Forscher lassen nicht nur Produktvariationen gegeneinander antreten, sondern sie entschlüsseln auch mithilfe von Testpersonen die sensorische Gestalt eines Produkts. Was sind in der Wahrnehmung der Tester die charakteristischen Sinneseigenschaften des Produkts? Welche Eigenschaften sind für den Konsumenten besonders wichtig? Welche Eigenschaft könnte man verändern, um den Genusswert zu erhöhen? Im Zentrum steht dabei eine Gruppe von trainierten Produkttestern, das sensorische Panel. Sie sind in der Lage, ihre Wahrnehmung in Worte zu fassen und erlauben so den Forschern Schlüsselattribute eines Produktes herauszuarbeiten. Die Ergebnisse helfen den Herstellern bei der Rezeptanpassung. „Die deskriptive sensorische Analyse ist die Königsdisziplin der Sensorikforschung", erklärt Robert Möslein. „Wir greifen auf Panels mit langjähriger Erfahrung zurück, die etwa spezialisiert sind auf Milchprodukte, Getränke, Schokolade und andere Produktbereiche“.
In manchen Fällen, etwa bei einem Kuchen, muss bei einer Zuckerreduktion das fehlende Volumen durch andere Füllstoffe ersetzt werden. Auch dadurch kommt es zu Veränderungen, vor allem im Mundgefühl. Gerade bei diesen Veränderungen ist das Knowhow des sensorischen Panels gefragt, um vom Geruch über das Mundgefühl bis zum Geschmack Änderungen aufzuspüren.
Von den Geschmackstests wie man sie in Fernsehshows oder in einem Supermarkt sieht („Probieren sie mal und zeigen sie auf den Joghurt der besser schmeckt“), sind die Untersuchungen der Sensorikforscher weit entfernt. Sie arbeiten nach wissenschaftlichen Methoden, nutzen je nach DIN-Vorschrift Hunderte von Produkttestern und analysieren die Ergebnisse mit modernen statistischen Verfahren. Im Labor garantieren sie, dass die Produkte in der gleichen Menge, unter den gleichen Lichtverhältnissen, mit der gleichen Temperatur und weiteren standardisierten Bedingungen verglichen werden. Zudem untersuchen sie, ob sich die im Labor gefundenen Ergebnisse auch bestätigen lassen, wenn die Tester das Produkt dort nutzen, wo es im Alltag zum Einsatz kommt: den Müsliriegel in der Arbeitspause, das Eisdessert am Küchentisch, das Erfrischungsgetränk beim Sport. „Manchmal kommen Fernsehteams auf uns zu und fragen, ob wir mal eben ein paar Lebensmittel testen können, berichtet Hans-Peter Volkmer, Managing Direktor bei isi. „Die sind dann meist erstaunt, wenn wir ihnen erklären, wie umfangreich die Untersuchungen sein müssen, um aussagekräftige Ergebnisse zu liefern.“
Eine Reihe von Forschungsgruppen beschäftigt sich aktuell mit dem Thema Zuckerreduktion. So konnte etwa Denize Oliveira und ihre Kollegen der Universität Uruguay in einer aktuellen Studie zeigen, dass eine Zuckerreduktion um vier bis acht Prozent (je nach Frucht) in Fruchtnektaren den Versuchspersonen nicht auffiel und eine Reduktion um 20 Prozent das Gefallen nicht beeinflusste (Oliveira 2018). Grundsätzlich galt: Je süßer der Standard-Nektar, desto größer konnte die Zuckerreduktion ausfallen, bevor der Nektar in der Verbrauchergunst sank. Allerdings entdeckte die Wissenschaftler, dass sich die Versuchspersonen in zwei Lager teilten. Ein Teil schätzte Süße besonders, der andere eher weniger. Sank der Zuckergehalt der Frucht-Nektare, schmeckte er Gruppe zwei sogar noch besser. Für Denize Oliveira bieten die Ergebnisse Grund zur Hoffnung: „Eine graduelle Zuckerreduktion in gesüßten Getränken ist eine realistische Strategie, die dazu beitragen könnte, den Zuckerkonsum zu verringern und so die Gesundheit bevölkerungsweit zu verbessern.“
Dass so eine lautlose Änderung des Ernährungsverhaltens von Millionen Menschen gelingen kann, belegt das Beispiel der Salzreduktion. Die Ernährungsbehörde (Food Standards Agency) in Großbritannien beschloss 2003, den Salzgehalt in verarbeiteten Lebensmitteln aus über 86 Kategorien wie beispielsweise Brot, Müsli und Suppen zu senken. Acht Jahre später war der Salzkonsum in der Bevölkerung um 15 Prozent geringer. Im gleichen Zeitraum nahm die Rate an tödlichen Schlaganfällen um 42 Prozent ab; was Experten unter anderem auf die salzärmere Ernährung zurückführen. Ähnlich wie bei der Zuckerreduktion empfehlen Sensoriker wie etwa Gastón Ares von der Universität Uruguay, den Salzgehalt über einen längeren Zeitraum hinweg immer mal wieder in Mini-Schritten abzusenken (Antúnez L 2016). Hat sich der Konsument an eine salzärmere Variante gewöhnt, folgt schon der nächste kaum wahrnehmbare Schritt.
Kann Ähnliches mit einer Zuckerreduktionsstrategie gelingen? Noch ist die Antwort offen. Vermutlich wird es den Herstellern gelingen, zuckerärmere Produkte in den Handel und an den Kunden zu bringen. Unklar ist, ob der Kunde beziehungsweise sein auf Süßes eingestellter Stoffwechsel die Umstellung mitmacht (Tey 2018, O´Reilly 2017). Möglicherweise holt sich der Körper die Kalorien an anderer Stelle wieder zurück und findet sich einige Stunden nach dem Verzehr des zuckerreduzierten Joghurt vor dem Kühlfach wieder und greift zum Eiskonfekt. Laut einer Untersuchung des Monell Instituts, das weltweit führende Forschungsinstitut im Bereich Riechen und Schmecken, lässt sich der Zuckergehalt eines Getränks zwar senken, die Süße, die der Verbraucher als Optimum wahrnimmt, bleibt aber auch nach der Zuckerreduktion gleich.
Aktuelle Daten aus Deutschland weisen jedoch darauf hin, dass ein gestiegenes Bewusstsein in der Bevölkerung für den zu hohen Zuckerkonsum das Verbraucherverhalten tatschlich bereits verändert hat. Während Heranwachsende zwischen 2003 und 2006 immer häufiger zu zuckerhaltigen Getränken griffen, sank der Konsum zwischen 2012 und 2016 von 83 auf 78 Liter pro Kopf, berichtet das Robert Koch-Institut Anfang. Das ist immer noch zu viel, aber der Trend geht in die richtige Richtung. Die Gesundheitsforscherin Sigrid Gibson und Kollegen hoffen, dass durch die Anstrengungen der Industrie die Bemühungen des Einzelnen den gesunden Trend noch weiter verstärken werden (Gibson 2017).
In Deutschland steht zwar keine vergleichbare offizielle Strategie an wie etwa in Großbritannien. Doch auch Hersteller und Handelsketten in Deutschland haben bereits begonnen, die Zuckerwende einzuläuten. „Player in der Lebensmittelbranche, die sich jetzt noch nicht intensiv mit dem Thema Zuckerreduktion beschäftigen, könnten in einigen Jahren das Nachsehen haben“, sagt Robert Möslein. „Die Zuckerreduktion in verarbeiteten Lebensmitteln wird nicht auf einen Schlag alle Menschen in Deutschland leichter und gesünder machen. Aber sie ist ein kleiner Baustein von vielen auf dem Weg zu einem gesünderen Leben für alle.“
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Quellen
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Fotocredits
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Dr. Fabienne Hübener ist freie Wissenschaftsjournalistin und hat sich auf die Sinne und die sensorische Forschung spezialisiert. Sie schreibt seit 2017 für uns auf unserem Blog.
Apr 2, 2018
Wie es isi gelang, Sensoriktests während der Corona-Krise nahezu nahtlos vom Labor in das Zuhause...